Illegal Parking Day – Falschparker in Berlin
Eine Frage der Prioritäten
Falschparken ist ein leidiges Thema. Obwohl „leidig“ es eigentlich nicht so richtig trifft. Im Grunde ist es viel mehr als das und wenn man nicht zu den Menschen gehört, die täglich darüber hinwegsehen oder gar selber zum Problem beitragen, wird es einem täglich vor Augen geführt. Falschparker auf Fuß- und Radwegen, Behindertenparkplätzen oder mitten auf der Straße in zweiter Reihe – diese Bilder gehören zum Alltag.
Fakt ist, dass diese Unart aktiv Gefahrensituationen erzeugt. Fußgänger, Menschen mit Kinderwagen, Rollstuhlfahrer und Radfahrer müssen ausweichen und verengte Fahrbahnen bringen Radfahrer noch stärker in Bedrängnis bei engen Überholmanövern. Dass so diejenigen in große Gefahr geraten, die keinen schützenden Blechpanzer um sich tragen, wird fleißig ausgeblendet. Man stehe ja nur für ein paar Minuten dort und man solle sich nicht so anstellen.
@wegeheld @Bike_Lin @MartinTriker @BJDavidse Extra für euch… Mit nem Latte… pic.twitter.com/kAf9MkiUoa
— Simon (@osis1980) 8. Februar 2015
Die Deutschen lieben ihr Auto, das auch im Jahr 2015 ein Statussymbol ist. Das Auto wurde und wird bei fast jeder Entscheidung, die den Individualverkehr vor allem in den Städten betrifft, bevorzugt. Kopenhagen und Amsterdam sind Ausnahmen, die eine sonst weit verbreitete Regel bestätigen. Mikael Colville-Andersen beschrieb das auf seinem Blog Copenhagenize passend als „Arrogance of Space„. Im Zweifel für das Auto.
Illegal Parking Day
Ob man den Einfluss der Autolobby und -liebe Deutschlands in die Schranken weisen kann, ist ungewiss, Aufklärung allerdings ist unabdingbar. Die Initiative Clevere Städte ruft daher seit einiger Zeit zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf, um die Recht von Fußgängern und Radfahrern überhaupt ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken. Dabei werden in Berlin dann schon mal falschparkende Autos mit Schlagsahne besprüht oder am International Illegal Parking Day ein Haufen Fahrräder in der zweiten Reihe geparkt. So geschehen am heutigen Mittwoch, den 11. Februar in der Oranienstraße in Kreuzberg, eine Straße voller notorischer Falschparker. Das Chaos war vorprogrammiert und die Straße innerhalb weniger Minuten vollkommen verstopft. Die Schuld traf – wie so oft – die Radler, so die Meinung der Ladenbesitzer. An den beiden LKWs, die trotz freier Parkflächen ihre Waren fröhlich mitten auf der Strasse verluden, störte sich niemand.
Die Polizei übrigens auch nicht, die leider überhaupt kein Fingerspitzengefühl bewiesen und mit schlechtem Vorbild voranging…
Kampfradler vs. Kampffahrer
Die teils heftigen Reaktionen der Ladenbesitzer zeigen wie tief die Vorurteile verankert sind: Die Straße gehöre den Autos und die Radfahrer, die sich sowieso nie an Verkehrsvorschriften hielten, sollten gefälligst selber auf sich aufpassen. Die aggressive Stimmung zwischen den sich jeweils als Kampfradler oder Kampf(auto)fahrer beschimpfenden Verkehrsteilnehmer ist kaum mehr zu bremsen und verleitet (vermeintlich) aufgeklärte Menschen zu erschreckend mittelalterlichen Aussagen, wie Carl Alviani in seinem großartigen Essay auf Medium zeigte.
Ganz bewusst vermeiden wir diese polemischen und wenig zielführenden Diffamierungen, egal in welche Richtung. Die Initiative Clevere Städte sieht das glücklicherweise genauso und geht bei all seinen Ideen und Aktionen äußerst behutsam, freundlich und deeskalierend vor. Nur flächendeckende Aufklärung und funktionierende Infrastruktur für Fahrräder haben eine Chance auf Erfolg, auch wenn eine Aktion wie der Illegal Parking Day als provokative Spitze mehr als erlaubt ist.
Eine Dame, die zufällig vorbei radelte, war auch etwas verwundert über unser Anliegen. Ganz entspannt plädierte sie für mehr Geduld und Rücksicht im Straßenverkehr, dann sei doch schon alles gewonnen. Ein richtiger Punkt, den wegen der vielen, laut hupenden Autos leider kaum jemand hörte…
Lebenswerte Städte
Am Ende geht es immer darum, wie und wo wir eigentlich leben wollen. In zugeparkten Betonstädten mit unerträglicher Luftverschmutzung jedenfalls nicht. Städte wie Kopenhagen sind der Maßstab, immerhin 36 Prozent aller Menschen hier pendeln mit dem Fahrrad zur Arbeit. Inklusive den Außenbezirken wohlgemerkt. Von den Menschen, die tatsächlich auch in Kopenhagen wohnen, pendeln sogar 52 Prozent. Im Winter wie im Hochsommer. Das Leben findet hier wieder auf der Straße statt, die mühevoll von den Autofahrern zurückgewonnen wurde. Kopenhagen landet bei den jährlichen Listen der lebenswertesten Städte auf den vorderen Rängen.
Aber woran erkennt man eine Lebenswerte Stadt? Jan Gehl, Architekt aus Kopenhagen, hat dazu in einem brillantem Interview mit der brand eins eine einfache wie einleuchtende Meinung:
Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen unterwegs sind. Das ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt ist nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß respektiert. Wenn sie also nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der Fußgänger und Fahrradfahrer tickt. Wenn sich auf ihren überschaubaren Plätze und Gassen wieder Menschen begegnen können. Darin besteht schließlich die Idee einer Stadt.
Damit Berlin und andere deutsche Großstädte also wieder lebenswerter werden und die Straßen wieder sicher werden, lässt sich beim Falschparken sicherlich eine Menge Boden gut machen. Im europäischen Vergleich ist das in Deutschland extrem günstig zu haben (Clevere Städte hat dazu übrigens eine Petition gestartet, die ihr definitiv unterstützen solltet) und lässt die Autofahrer kaum umdenken.
Das aber ist dringend notwendig. Für die Sicherheit und die Lebensqualität auf unseren Straßen.
Impressionen:
Die Oranienstraße nach fünf Minuten Zweite-Reihe-Parken:
Presseschau
blog.zeit.de/fahrrad/2015/02/11/erster-falschparker-tag-fuer-radfahrer/
www.tagesspiegel.de/berlin/verkehr/radfahren-in-berlin-falschparken-gegen-die-radfahrer-hoelle/11359182.html
www.fr-online.de/wiesbaden/wiesbaden-post-fuer-radwege-blockierer,1472860,29827714.html
www.bild.de/regional/berlin/verkehr/gegenschlag-im-fahrrad-auto-krieg-39731650.bild.html
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